Die zentrifugalkraft der Technologie

Schneller! Das ist das, was die Technologie uns bringt: Schnelligkeit… Und Bequemlichkeit. Ein Bedürfnis ist nur noch einen Klick entfernt. Der ganze Prozess zur Erfüllung eines Bedürfnisses bleibt uns ersparrt. Alles kann sofort befriedigt werden. Die Technologie wirkt wie eine Zetrifugalkraft auf unseren Körper. Je schneller sie für uns arbeitet, desto weniger kommen wir in Bewegung. Je mehr wir uns der Lichtgeschwindigkeit nähern, desto regungsloser werden unsere Körper.
Sich das Leben bequem zu machen ist etwas anderes als sich das Leben leicht zu machen. Wir versinken in unseren Couchs, von wo aus wir alles erledigen. Alles wird nach Hause geliefert, die KI denkt für uns. Unsere Körper werden schwer, immer schwerer, während alles immer schneller geht. Der Druck der Geschwindigkeit macht es uns unmöglich aufzustehen.
Wann kommt nun der Zeitpunkt, an dem wir herausgeschleudert werden und gegen eine Wand mit voller Wucht prallen? Denn das passiert, wenn wir nicht vorher bewußt entschleunigen, aussteigen.

Es wäre zu wünschen, dass wir die Ursache dieser Schwere, dieses Drucks, die wir so oft spüren, erkennen. Es wäre zu wünschen, dass wir lernen wieder langsamer zu gehen, damit wir wirklich Zeit haben. Schnelligkeit frisst Zeit. Es ist einfach nicht wahr, dass wir uns dadurch Zeit sparren.
Nur langsam fühlt sich die Zeit lang an, also haben wir nur langsam viel Zeit. Doch wer erträgt noch die Ruhe, wer genießt noch die Stille? Was passiert mit uns, wenn nichts passiert?
Wir haben verlernt geduldig zu sein. Wir haben gelernt frustriert zu sein und werden fordernd. Wir wollen alles sofort, am liebsten mühelos. Das macht alles wertlos. Also begehren wir die nächste begehrenswerte Sache, und so fort. Hauptsache Befriedigung! Wir kommen nie zu Frieden.

Sinnesreize / Gedanken. Was war vorher da?

Unser Körper ist mit Sinnesorganen ausgestattet, mithilfe derer wir unsere Umwelt wahrnehmen können. Sie arbeiten wie Antennen, die Informationen aus der Umwelt empfangen, welche durch Neurotransmitter an unser Gehirn weitergeleitet werden. Dort werden sie aufgenommen, verarbeitet und gespeichert. Daraus entstehen entsprechende Gedanken.
Diese wiederum beeinflussen die Empfänglichkeit unserer Sinnesorganen für eine, den Gedanken entsprechenden Information. Und so schließt sich der Teufelskreis zwischen den Sinnen und den Gedanken und wir sehen, hören, spüren die Welt schwarz, rosa, bunt, bedrohlich, freundlich oder wie auch immer.
Unser Körper wird süchtig nach der gewohnten Information und richtet all seine Sinne auf sie. Er ist wie ein Junkie, der nach dem vertrauten (Boten)Stoff sucht, wie schädlich er auch sein mag. Und so nähren wir immer wieder die gleichen Gedanken.
Ohne ein Bewußtsein dafür, wie Gedanken überhaupt entstehen, läuft dieses Programm vollkommen selbstständig weiter und wir werden Opfer unserer Gedanken. Doch wir können jederzeit die Kontrolle über sie wiedererlangen ehe sie uns kontrolieren.
Dafür müssen wir wieder in Kontakt mit unserem Körper treten, ihn wieder fühlen. Am besten geht es in der Stille, dort wo er den verlockenden Reizen nicht mehr ausgesetzt ist.

Diese Verbindung zum eigenen Körper ist nicht mit Hautpflege, Massage, Fitness, Sport, Ernährung zu verwechseln, denn es geht nicht um Gestaltung und Formgebung, nicht darum den Körper einem strengen Programm zu unterziehen, sondern darum, hinzuhören, hinzufühlen. So können wir die Qualität der aufgenommenen Information erkennen und bei Bedarf etwas dran ändern, die Antennen neu richten.
Sich neu richten, heißt seine Sinne neu richten, eine neue Information empfangen, und schon macht das Leben wieder mehr Sinn. Wir verbinden uns wahrhaftig mit unserem Geist nur durch den Körper. Deshalb sollte dieser geschont und nicht geschönt werden, gepflegt und nicht geformt, bemalt und optimiert werden. Wer seinen Körper einem Optimierungsprogramm ständig unterzieht, ist empfänglich für die Information „Optimierung“ und nicht unbedingt mit sich selbst verbunden.

Wann ist Achtsamkeit wirklich Achtsamkeit?

Achtsam sind wir, wenn wir mit uns selbst in Verbindung bleiben. Es mag paradoxal klingen, denn die Achtsamkeit wird doch auf die gegenwärtige Aktion oder seinen Gegenüber gerichtet.
Wie ist das also möglich, vollkommen bei der Sache oder bei jemandem zu sein, wenn ich ganz bei mir bin? Und wie kann ich gleichzeitig bei mir und beim anderen sein?
Tatsächlich, bezeichnet Achtsamkeit die Fähigkeit, bei sich bleiben zu können, sich selbst und seiner inneren Welt vollkommen bewußt zu werden um sich von seiner Umwelt und alldem was sie umfasst abzugrenzen, zu unterscheiden. Wenn mir dieses Bewusstsein für mich selbst in diesem Ausmaß gelingt, so kann ich tatsächlich die Welt und die Menschen um mich herum vollkommen wahrnehmen, ohne mich mit ihnen zu identifizieren oder sie mit mir zu verwechseln.
In der Achtsamkeit findet keine Projektion statt, sondern eine Reflexion. In der Projektion beziehe ich alles auf mich, mache mir selbst zum Mittelpunkt der Welt, die ich dann nach meinem inneren Empfinden interpretiere. In der Reflexion, beziehe ich mich immer auf mich selbst und weiß dadurch, dass alles was mich betrifft aus mir herauskommt. Die Welt mag Eindruck auf mich machen, dennoch bin ich derjenige, der diese Eindrücke mit Emotionen belastet.
Meine Umwelt existiert unabhängig von mir, ob ich mit dieser interagiere oder nicht. Umgekehrt stimmt das aber nicht. Ich selbst existiere nicht ohne meine Umwelt. Ich existiere IN dieser Welt. Ich bin eine Welt in dieser Welt. Ich bin der Mittelpunkt meiner inneren Welt, nicht aber der äußeren Welt.

Schenke ich meiner inneren Welt die nötige Achtsamkeit, so bin ich mir selbst bewusst und grenze mich von meiner Umwelt ab, die ich dann ebenfalls als selbst existierend wahrnehmen kann. Wir existieren beide nebeneinander, gehen in einer Beziehung zueinander und in ihrer Neutralität, zeigt sich die Welt so wie ich sie sehen will. Mein Selbstbewusstsein kann nicht entstehen, wenn ich Opfer der Umstände werde. Dies ist der Fall, wenn ich fest davon überzeugt bin, daß ich die Welt so sehe wie sie tatsächlich ist, wo sie in Wahrheit so ist, wie ich sie gerne sehe.
Achtsam bin ich also, wenn ich die Welt von der persönlichen Wahrnehmung, die ich von ihr habe, unterscheiden kann. Achtsam bin ich mit meinem Nächsten, wenn ich seine Gefühle von den Gefühlen, die er in mir auslöst, unterscheide.

Achtsamkeit wird mit „Aufmerksamkeit“ aber auch mit „vollkommenes Bewußtsein“ auf französisch übersetzt. Ich glaube nämlich, dass ich meine Aufmerksamkeit erst jemandem wahrhaftig schenken kann, wenn ich mir selbst möglichst bewusst bin. Und das ist wahrhaftige Achtsamkeit.